Kitafreies Leben
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich schon während der Schwangerschaft gefragt wurde, wann ich mein Kind in die Kita geben werde. Mein Sohn war also noch nicht einmal geboren und die Leute fragten mich, wann wir ihn denn quasi wieder abgeben würden. Er war noch nicht mal “angekommen” und ich sollte mich schon wieder von ihm verabschieden. Das hatte ich mir so nicht ausgemalt.
Als ich ihnen dann erzählte, dass ich 3 Jahre Elternzeit - mit der Option nach 2 Jahren wieder in Teilzeit zu arbeiten - nehme, guckten sie meist sehr erstaunt. Man wird gleich als Exot abgestempelt, der sein Kind nicht loslassen kann, der sein Kind nicht schon nach ein paar Monaten wieder weg gibt.
Es kamen Argumente, dass ich doch wieder arbeiten müsse, um nicht zu lange “raus” zu sein. Das Kind braucht doch Sozialisierung und vor allem andere Kinder. Er muss doch lernen sich abzunabeln uws. Ganz zu schweigen von all den Gegenargumenten zum Stillen, Tragen (lies mehr dazu in meinem Beitrag "Trageliebe - Warum Tragehilfen toll sind") und Familienbett, aber das ist ja ein anderes Thema und würde den Rahmen hier sprengen.
Der Plan war am Anfang noch ganz klar
Wir hatten zwar anfangs noch vor unseren Sohn in eine Kita zu geben, dennoch nicht vor seinem 2. Geburtstag und dann auch erstmal nur für ein paar Stunden vormittags. Wir suchten uns Kitas raus und kamen auf diverse Wartelisten - die Wunschkita, also die auf dem Papier den besten Eindruck auf uns machte, sagte wegen Überfüllung schnell ab und auch die Alternativen waren überlaufen. Da wurde uns klar, dass wir wahrscheinlich gar keinen Einfluss auf die Betreuungsqualität nehmen werden können und wir wohl die Kita nehmen müssen, die am Ende übrig bleibt. Sollten wir russisches Betreuungsroulette spielen?
Zwischenzeitlich fing ich an viele Fachbücher zum Thema Bindung zu lesen und wir nahmen am Onlinekongress “Von der Bindung zur freien Bildung” teil. Die Fakten, die wir daraus für uns mitnehmen konnten, machten uns ein immer mulmigeres Gefühl, unseren Sohn in fremde Hände zu geben - obwohl WIR doch das sind, was er wirklich braucht. Wir bekamen auch Einladungen zur Kitabesichtigung, die wir dann aber absagten. Das Gefühl, das Richtige zu tun und unseren Sohn bei uns zu lassen festigte sich und wir beschlossen ein für alle Mal ihn nicht fremdbetreuen zu lassen. Es fühlte sich damals gut und richtig an - und das tut es heute noch. Uns war damals klar, dass wir selber nach einer Lösung suchen müssen.
Wenn man sich für einen anderen, den kitafreien Weg entscheidet, als der Mainstream ihn geht, muss man gut gewappnet sein, mit guten Argumenten, mit Ausdauer, einem freundlichen Lächeln und mit Selbstbewusstsein für das, was man sich für sich und sein Kind vorgenommen hat.
Wir haben uns für kitafrei entschieden, weil wir auch bewusst an dem Leben und der Entwicklung unseres Sohnes teilnehmen wollen. Wir möchten ihn nicht früh um 8 Uhr abgeben und ihn dann erst wieder 16/17 Uhr abholen, um dann noch gestresst schnell einkaufen zu gehen, schnell noch Abendessen zu kochen, um ihn dann schon wieder ins Bett zu stecken, weil er ja am nächsten Morgen wieder pünktlich in der Kita sein muss. Ich könnte es mir jetzt nicht mehr vorstellen, ihn für die meiste Zeit des Tages zu fremden Menschen zu geben, die schon genug mit 5 - 7 anderen Kindern zu tun haben und die deswegen nicht auf alle Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes eingehen können.
Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Eltern oder Erzieher!
Ich möchte hier keine Kritik an den Erzieherinnen üben, sie haben weiß Gott genug zu tun und werden zudem auch nicht annähernd gut bezahlt, wie es ihnen eigentlich zustehen würde. Meine Kritik gilt eher der Politik, die seit Jahren weiß, dass es für unsere Kinder das Beste ist, wenn sie bei ihren Eltern aufwachsen. Vor allem die ersten 3 Jahre sind da ausschlaggebend und wichtig. Aus Studien weiß man, dass Kleinkinder unter enormen Stress stehen, wenn sie sich den größten Teil des Tages in einer, teils sehr lauten, Kita aufhalten (müssen). Der Cortisolspiegel der Kinder ist vergleichbar hoch mit denen von Topmanagern, die gerade dabei zusehen müssen, wie ihr Geschäft den Bach hinunter geht.* Kinder sind noch nicht in der Lage sich selbst zu regulieren, dafür brauchen sie liebevolle Zuwendung und Fürsorge von uns Erwachsenen - die dafür auch die nötige Zeit haben müssen.
Meine Kritik geht auch nicht an die Eltern, die es sich nicht anders leisten können, als ihre Kinder abzugeben, um auf Arbeit das Geld zu verdienen.
Wir haben uns für diesen Weg entschieden, weil wir es uns zum Glück leisten können. Wir haben unser Leben enorm zurückgeschraubt. Wir haben, als unser Sohn noch nicht trocken war, mit Stoffwindeln gewickelt. Wir haben uns die teuren Babygläschen gespart und haben ihn einfach bei uns mitessen lassen. Wir haben auf viel Schnickschnack verzichtet und meist Second Hand Klamotten und auch gebrauchtes Spielzeug gekauft. Einem Kind ist es doch total Wurst, ob es nun eine nigelnagelneue Jacke trägt oder ob diese gebraucht ist, solange sie ihren Nutzen erfüllt und keine Löcher hat. Kinder haben doch noch gar keine hohen Ansprüche wie so manch Erwachsener, nur Bedürfnisse nach Nähe, Liebe, Sicher- und Geborgenheit.
Und wer könnte ihm das alles geben, WENN NICHT WIR?
Keiner kennt mein Kind besser als ich. Keiner versteht mein Kind besser als ich. Er braucht mich noch so doll - und das darf er auch. Wenn er in die Kita gehen würde, könnten wir nicht so oft zusammen im Bett kuscheln - genau dann, wenn er es gerade braucht. Wir könnten ihm frühmorgens nicht die Zeit lassen, die er noch zum Spielen braucht. Er könnte sich nicht so frei entfalten, wie er es jetzt mit uns kann. In der Kita hätte er nicht die Möglichkeit einfach mal am Wegesrand anzuhalten, um 5 Minuten lang einen Ameisenhaufen zu beobachten.
Mein Eindruck
Ich habe schon viele schlimme Situationen erlebt, die den Kindern so in ihrem Kita-Alltag passieren. Da werden Kinder vor den anderen Kindern von den Erziehern beschämt und angemault. Kinder dürfen sich nicht mal 30 cm aus der Gruppe wegbewegen - sie müssen sich ständig anpassen und gehorchen. Kinder weinen minutenlang(!) - und nix passiert. Kinder möchten zu ihrer Mama und niemand reagiert oder tröstet sie wenigstens. Das möchte ich meinem Sohn echt ersparen. Kinder brauchen ihre Eltern!
Und es gibt immer mehr Eltern, die so unabhängig und kitafrei mit ihren Kindern leben möchten. Eltern, die ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen oder von zuhause aus arbeiten. Wir haben uns dafür unseren Familiengarten geschaffen. Ein Ort, an dem Arbeit und Kind vereint sein dürfen. Wir haben dort zwei Spielzimmer, in denen gespielt und gearbeitet werden kann. Einen Kreativraum, wo gebastelt und gemalt werden kann. Ein großes Schlaf- und Ruhezimmer, eine große Küche und einen Raum für Treffen und Hobby.
Das Wissen darüber, wie wichtig die Bindung in den ersten 6 Lebensjahren ist, hat uns unter anderem letztendlich dazu bewogen, dass wir uns gegen eine Fremdbetreuung entschieden haben. Die Bindung des Kindes an seine Eltern stärkt es sein ganzes Leben lang.
Hierzu möchte ich euch ein Buch empfehlen: "Unsere Kinder brauchen uns"* von Gordon Neufeld. Sehr lesenswert. Zum Buch habe ich auch eine Blogserie geschrieben "Die Gefahren der Gleichaltrigenorientierung Teil I".
Immer wieder wird Müttern erzählt, sie können ihrem Kind doch gar nicht genügen im kitafreien Leben
Lasst euch bitte nichts einreden. Jede Mutter kann ihrem Kind das geben, was es für eine gesunde Entwicklung braucht - Nähe, Liebe, Sicher- und Geborgenheit, Akzeptanz. Und für den Rest bringt das Kind von selbst Eigenschaften mit, um zu lernen und zu wachsen - das hat die Natur so angelegt. Kinder lernen einfach, indem sie spielen, spielen und spielen.
Lies auch dazu in meinem Gastbeitrag "Bindung vor Bildung".
Wie haben es denn damals die Mütter gemacht, als es noch keine Kindergärten gab und alle Kinder kitafrei aufgewachsen sind? Aus den Kindern ist doch auch was geworden!
Kein Kind würde von sich aus freiwillig in eine Kita gehen, ohne seine engste Bezugsperson, welche in den meisten Fällen die Mutter ist. Deshalb wird die Eingewöhnungen häufig auch vom Vater gemacht, weil sich das Kind von diesem in der Kita besser trennen kann, was aber noch lange nicht heißt, dass diese Kinder ihre Mutter nicht vermissen.
Ich wünsche mir für die Zukunft zum Einen, dass es allen Eltern möglich ist, länger bei ihren Kindern zuhause zu bleiben und zum Anderen, dass sie dafür eine angemessene finanzielle Unterstützung erhalten - an Stelle vom Ausbau neuer Kitaplätze (Kosten pro Kitaplatz 1200 - 1500 €/Monat !)!
Das waren meine Vorteile zum kitafreien Leben. Wie siehst du das?
Quelle:
*Die dunkle Seite der Kindheit – Frankfurter Allgemeine Zeitung- Dauerhafter Stress bei Kindern in der Kitabetreuung:
https://www.fachportal-bildung-und-seelische-gesundheit.de/index.php/faz-artikel-4-april-2012
Liebe Mel, all diese gut gemeinten Ratschläge und sorgenvollen Blicke. Ich kenne sie zu gut. Auch ich, ich weiß es noch genau, habe unseren Sohn in einer Kita angemeldet, die Kinder ab zwei Jahren aufnehmen. Das ist ja noch soooo lange hin, dachte ich. Und mein Würmchen, den ich im Tragetuch dabei hatte, schlief so selig und er war sooo klein. Und dann, kurz vor seinem zweiten Geburtstag, kam der Anruf. Als es klingelte wusste ich: SIE sind es. Es ist soweit. Ich bin nicht drangegangen. Musste mich erst sammeln und überlegen, wie ich reagiere. Dann rief ich zurück. Sie sagten: „Wir möchten Ihnen einen Betreuungsplatz anbieten“. Mit pochendem Herzen höre ich diese Worte noch heute in meinem Kopf nachhallen. Gott sei Dank war ich vorbereitet und hatte mir zurechtgelegt, was ich sagen wollte: „Danke, aber danke nein. Mein Kind ist noch nicht soweit. Und ich bin es auch nicht. Wir möchten den Platz nicht in Anspruch nehmen.“ Ich bin mir fast sicher, der nächste Bewerber hat sich sehr gefreut. Doch für uns war es die beste Entscheidung, die wir hätten treffen können. Mein Sohn wäre zu diesem Zeitpunkt zerbrochen.
„Keiner kennt mein Kind besser als ich. Keiner versteht mein Kind besser als ich. Er braucht mich noch so doll – und das darf er auch.“
Diese Worte hätten von mir stammen können.
Danke, Mel, für Deine Worte! Und die Verlinkung. 🙂 Deine Jenn
Ja zum Glück hast du in dich und deinen Sohn hineingespürt. 💕
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Hallo Mel, ich stimme dir in allen Punkten zu und wir gehen auch diesen Weg. Kinder brauchen ihre Eltern und keine aufgezwungene Fremdbetreuung. Und wer sagt eigentlich, dass „ausgebildete“ Erzieher besser in der Betreuung sind als ich? Das Gegenteil ist leider oft der Fall.
Beste Grüße, ein Papa.
Ein wirklich toller Artikel! Vielen Dank dafür. Ich war im Vorfeld leider nicht so gut informiert und stark wie du, obwohl mir mein Instinkt sagte, dass es falsch ist, ihn abzugeben. Aber von allen Seiten wurde ich belabert: – zuhause langweile er sich nur, – ich bräuchte die Zeit um auch dem Baby gerecht werden zu können, – der Kontakt zu anderen Kindern sei wichtig usw. Ich glaubte selbst an die Sprüche und so kam er mit 2 in die Kita. Einen Tag durfte ich da bleiben, schon am zweiten sollte ich gehen. Zweimal blieb er ohne Probleme da, fand es sogar toll, freute sich morgens sogar. Dann wendete sich das Blatt schlagartig. An Tag 6 heulte er und mir wurde geraten einfach zu gehen. Er hatte Panik und ich blieb, bis er sich beruhigt hatte, aber dann ging ich. Er weinte nicht mehr, dafür ich Zuhause. Ich holte ihn kurz darauf wieder ab und er musste dann nicht mehr hin. Ich habe so ein schlechtes Gewissen es überhaupt versucht zu haben! Meine Jungs bleiben jetzt bei mir und ich fühle mich dabei sehr gut.
Hallo Angela, schön, dass du auf dein Bauchgefühl hörst bzw es noch hast! Ich wünsche euch eine tolle Zeit zusammen
💜
Hallo ihr Lieben,
Ich bin von Beruf Erzieherin und möchte dir nur sagen, DU HAST RECHT!
Wir Erzieher haben leider nicht die Möglichkeiten allen Kindern gerecht zu werden, weil wir viel zu viele Kinder in den Gruppen haben.
Des Weiteren muss ich leider auch dazu sagen, gibt es viel zu viele Erzieher, die diesen Beruf gar nicht mit Herz machen…und somit wie du es schon geschrieben hast, die Kinder werden angemauelt, beschämt und können sich gar nicht entfalten. Dein Beispiel mit der Ameisenstraße war da sehr gut.
Ich selber habe eine 2-jährige Tochter…die ich leider schon in eine Kita geben musste, wegen der finanziellen Situation…aber hätte ich es gekonnt, hätte selbst ich sie als Erzieherin zu Hause bei mir gelassen….weil wie ihr es sagt…wer kennt sein Kind nicht besser als man selbst.
Und ich finde eure Einstellung sehr schön und es beruhigt mich auch zu lesen, dass es Eltern gibt, die die Zeit mit ihren Kindern genießen.
In meiner Kita habe ich leider immer mehr den Eindruck, dass Eltern die Fremdbetreuung lieben, damit sie Ruhe haben….da werden die Kinder selbst mit Fieber abgegeben…natürlich vorher Zäpfchen, damit die Erzieher es nicht mitbekommen.
Aber wie du es schon sagst…die Politik, der Staat müsste einfach mehr für Familien und Kinder in jedem Alter tun
danke für diesen tollen beitrag, du sprichst mir aus der seele 🙂 lg aus indien 🙂
Hallo liebe Jenny, schön, dich hier zu lesen. Danke für deine lieben Worte! Liebe Grüße Melanie
Ein sehr schöner Artikel, aber wie kann ich das umsetzen, wenn ich auch was zum Leben monatlich beitragen muss, weil ein Gehalt leider nicht reicht?
So wahr…. unser Sohn ist 2 1/2 und auch noch nicht fremdbetreut. Auch jetzt schon müssen wir uns für diesen Weg oft rechtfertigen und erklären. Viele können es nicht verstehen und versuchen uns klar zu machen, wie wichtig es für das Kind sei. Mir wurde oft gesagt, ich klammere oder sei faul, weil ich die Arbeit meinem Kind nicht vorziehe. Traurige Welt! Wir schwanken noch zwischen „Kita ab 4 oder kitafrei“. Wir lieben unser Leben ohne Stress und haben das große Glück, dass wir mit dem Gehalt des Papas sehr gut auskommen. Btw, ich bin Erzieherin und habe viele Jahre in versch. Kitas gearbeitet. Selbst die beste Kita, hatte ihre schwarzen Schafe und Schwächen, die ich unserem Sohn niemals zumuten würde. Es gibt sehr viele Menschen aus diesem Berufsfeld, die sich für diesen Weg entscheiden. Warum sie das tun, interessiert leider weder die Politik, noch andere Eltern.
Liebe Jennifer, vielen Dank für deinen Einblick. Ich wünsche dir, dass ihr euren passenden Weg weiterhin gehen könnt. Alles Liebe. Melanie
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