Was Erziehung bei mir bewirkt hat und was es bei deinem Kind bewirken könnte

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Es ist wieder so ein Kacktag. Ein Tag an dem ich mir wünschte, dass die Sonne scheinen würde, mir jemand den chaotischen Haushalt wieder gerichtet hätte, ich nicht in (selbst auferlegten) unerledigten Aufgaben schwimme und meinem Kind genervt zum Xten Mal das Fernsehprogramm umschalte anstatt mit ihm voller Liebe und Lebenslust zu toben und zu spielen. Pustekuchen. Also, hilft ja nüscht – guck ich mir eben an was da los ist. 

Alle möglichen Träume sind nach und nach in Erfüllung gegangen: ich habe geheiratet, wir haben uns ein wunderschönes Häuschen gebaut und einen Sohn bekommen. Jetzt sitz´ ich hier und – ja was? Bin Mama. Aha, hmmm...ist das alles???

Der gute alte Druck aus meiner Berufszeit holt mich jetzt wieder ein. Ich muss etwas leisten, etwas haben, etwas sein. Moment mal Sein?! Nee – darstellen! Warum zum Kuckuck habe ich das Gefühl ich muss etwas darstellen?

In der Welt in der ich aufgewachsen bin, gab es keinen wirklichen Spielraum dafür zu erforschen wer ich war. Es gab keinen Platz für Fehler oder gar für „Versagen“ (so scheint es mir jedenfalls). Was mein Vater sagte, musste befolgt werden. Funktionierte ich nicht, gab es eine Standpauke oder Strafen wie Fernsehverbot und Hausarrest. Und Druck. Ich erinnere mich noch, dass er einmal sogar meinen ganzen Schreibtisch abräumte und den Inhalt dann in einen Müllsack packte, den er dann vor mir wegsperrte. Zur Strafe durfte ich meine Sachen erst nach ein paar Wochen wieder haben. Ich hatte nicht aufgeräumt, wie er sich das vorgestellt hatte.

Klar, ich war damals chaotisch. Aber welchen Grund hätte ich aus Teenagersicht haben sollen, mein Zimmer blitzsauber zu halten? Ich war nicht glücklich, fühlte mich alles andere als wertvoll für meine Familie, eher als Ballast. Denn ich war nicht das leibliche Kind meiner Stiefmama und wir verstanden uns nur sehr selten. Von meinem Vater kamen meist kritisierende Worte, nur selten ein Lob - frei nach dem Motto: ´Nichts gesagt ist genug gelobt.´ Was sollte ich also für einen Grund gehabt haben, etwas beitragen zu wollen? Hm, ich hätte es ja noch für mich selbst tun können. Nur fühlte ich mich damals schon lange nichts mehr wert. Alles was ich tat war nicht gut genug und das was ich nicht tat- auch. Es ging immer nur um Pflichterfüllung, sei es im Haushalt oder bei den Schulleistungen. Nicht gerade eine nennenswerte Motivation.

Mein Vater war und ist ein sehr durchsetzungsfähiger – also autoritärer Mensch. Aufzumucken traute ich mich damals nicht, aus Angst vor weiteren Konsequenzen seiner Strenge. Für mich war er ein Mann, vor dem man besser Respekt hatte. Meine einzige Möglichkeit - so scheint es mir heute - bestand darin mich zu verweigern. So drückte ich mich um die Mithilfe im Haushalt herum. In der Schule hatte ich ebenfalls Durchhänger.

Immer wieder durfte mir anhören ich wäre zu faul, zu dappig (unfähig), zu träumerisch, zu langsam, zu..., zu..., zu... .

An Einzelheiten erinnere ich mich nur noch schwer. Die habe ich wohl einfach verdrängt. Aber an einen Streit über mein Verhalten kann ich mich noch gut erinnern, als meine Eltern meinten: „Jetzt sag doch auch mal endlich mal was dazu!“ Nur war es da schon zu spät. Insgeheim dachte ich: ´Ich bin doch sowieso immer der Depp für euch und werde mich hüten etwas zu sagen. Ich bin doch nicht blöd!´ Also schluckte ich meinen Kummer hinunter, wieder und wieder und wieder. Mit jeder Anschuldigung fühlte ich mich schlechter. Offenbar war ich kein guter Mensch, wenn sie soviel an mir kritisierten aber kaum lobten. Ich war schlicht nicht so, wie ich sein sollte.

Als ich Siebzehn war, kam es zwischen meinem Vater und mir zu einem Streit. Er war der Ansicht, ich dürfe meinen Freund (heute Mann) nicht treffen, weil mein Zimmer unaufgeräumt war. Das reichte! Ich war fast Achtzehn und dieses Mal platzte ich. Ich wurde laut - mein Vater lauter. Er beharrte auf seiner Ansicht und zog nach unserer Auseinandersetzung los, weil er auf Geschäftsreise musste. Ich tobte jedoch innerlich, weil ich nicht mehr bereit war mich bevormunden zu lassen und rief meine Mama an: „Ich kann hier nicht bleiben!“ Kurzerhand packte ich eine Reisetasche und schlich mich ohne ein Wort des Abschieds an meiner Stiefmama vorbei, zur Haustür raus.

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Danach bin ich nie mehr nach Hause zurückgekehrt. Als ich ungefähr zwei Monate später meine restlichen Sachen holte, stand mein Papa da und weinte. Dieser große, starke, durchsetzungsfähige, autoritäre Mann, dem gefühlt nichts was ich tat, gut genug schien, weinte um sein Mädchen.

Er ist heute noch der Ansicht, dass ich die damaligen „A****tritte“ nötig gehabt hatte. Dass sonst vielleicht nichts aus mir geworden wäre. Aber er steckt nicht in meiner Haut, kann nicht sehen und fühlen wie es mir geht. Dass ich in der Berufswelt ungerechten, autoritären und kränkenden Vorgesetzten bis zum Schluss nichts entgegenzusetzen hatte. Unter dem Leistungsdruck von Arbeitgebern immer wieder einknickte, krank wurde. Weil ich mich selbst nicht achten und beschützen konnte. Dass ich vierzehn Jahre später immer noch Schwerstarbeit leisten muss, um mir meine Würde und meinen Selbstwert zurückzuerobern; und außerdem darum kämpfen muss, meinem Kind nicht ebenfalls das Gefühl zu geben, dass es funktionieren muss.

Als Familienmanagerin zuhause kann ich mich nicht länger auf eine messbare Leistung stützen (wie ein Gehalt, zählbare Arbeitsstunden etc.). Es scheinen wieder die damals erlernten Maßstäbe zu gelten. Denen kann ich jedoch niemals gerecht werden und ich will es ehrlich gesagt auch nicht. Denn ich bin nicht meine Leistung, nicht mein Haushalt, nicht meine Pünktlichkeit oder anderes. Ich bin ich – sehr ehrlich, herzlich, bekomme schon beim Thema Mülltrennung und Fliegen kaputt batschen ein schlechtes Gewissen. Ich schmeiße keinen Müll auf die Straßen, denn ich respektiere unsere Umwelt. Ich parke nicht auf Behindertenparkplätzen, nur weil ich zu faul zum Laufen wäre. Ich möchte immer zuerst für andere da sein, weil ich weiß wie weh es tut, niemals genug sein zu können. Ich mache gerne Geschenke, weil sich dann jemand freuen kann. Ich besitze viel Mitgefühl, kurzum: ich denke ich habe das Herz am richtigen Fleck. Und ja – ich bin eben eine ordnungsliebende Chaosqueen die sich regelmäßig in der Zeit verschätzt und auch mal tagträumen geht.

Die Erziehung meines Elternhauses hat dafür gesorgt, dass ich mit meiner Persönlichkeit einfach untergegangen bin. Denn es ging niemals darum wer ich war, nur was ich tat. Ich wurde auf mein Verhalten reduziert. Die Bedürfnisse und Gefühle hinter diesem Verhalten schienen keine Rolle zu spielen.

Was hat diese Haltung für Konsequenzen nach sich gezogen? Was haben die Kontrolle und das Verlangen nach Gehorsam gebracht?

Die Beziehung zu meinem Vater und meiner Stiefmutter war größtenteils schwierig und ist es teilweise heute wieder. Wenn ich sie besuche habe ich das Gefühl, mehr ihr Gast zu sein als ihr Kind.

Ich hatte nie gelernt, mich und meine Bedürfnisse ernst zu nehmen und für mich zu sorgen. Stattdessen hatte ich gelernt Autoritäten zu respektieren, leider auch dann, wenn sie meine persönlichen Grenzen überschritten. Aber ich glaubte abhängig zu sein. Abhängig von der Beurteilung anderer Menschen. Ich machte die Erfahrung, dass meine Meinung nichts zählte und ich sie besser gut zurückhielt um nicht noch mehr schmerzhafte Kritik erleben zu müssen. (Übrigens, meine weggesperrten Sachen hatte ich mir damals Stück für Stück heimlich zurückgeholt. Soviel zum Thema Strafen funktionieren!) Und letztendlich, entzog ich mich noch vor dem achtzehnten Geburtstag der Kontrolle meines Elternhauses. Sicher war nicht alles schlecht. Heute kann ich im Rückblick erkennen, dass mein Vater es gut mit mir meinte, denn er hatte Angst um meine Zukunft gehabt. Nur wurde dabei das damalige ´Hier und Jetzt´ völlig außer Acht gelassen.

Ekkehard von Braunmühl beschreibt es in ´Zeit für Kinder´ so:

Ganz gleich, was das Kind vielleicht (…) lernt; für das Leben lernt es mit Sicherheit, dass seine Eltern es nicht lieben, wie es ist, sondern dass sie ihre Liebe mit Bedingungen verknüpfen. Solch bedingte Liebe enthält aber das Gift der Angst. (…) Das Gift der Angst zersetzt die Liebe.“

Ich möchte euch gerne einladen, euch folgende Fragen zu stellen:

Wünscht ihr euren Kindern solche Folgen (oder gar schlimmere)?

Wünscht ihr ihnen, dass sie sich ungesehen, unterdrückt oder gar unerwünscht fühlen? Was soll Ihnen das bringen?

Möchtet ihr Machtkämpfe ausfechten oder eine respektvolle Beziehung zu eurem Kind eingehen, in der Raum für die Bedürfnisse aller existiert?

Möchtet ihr Druck ausüben, weil ihr glaubt im Recht zu sein (vor allem wenn ihr aus Angst um die Zukunft eurer Kinder handelt)? Oder haben nicht viel mehr unsere Kinder das Recht, dass wir an ihrer Seite sind und ihnen BEISTEHEN, wenn sie es brauchen? Ihnen dadurch zeigen, was für großartige Wesen sie sind, indem sie es uns wert sind für sie zu kämpfen?

Wünscht ihr euch angepasste Kinder, die sich dem Druck unserer Leistungsgesellschaft beugen oder gar selbst zu Unterdrückern werden? Oder starke, mitfühlende, individuelle Persönlichkeiten, die gut damit zurechtkommen wenn Sie mal anecken? (Denn das gehört zum Leben dazu!)

In einer Sache bin ich mir sicher: ich hätte keinen Druck von meiner Familie gebraucht, Zurechtweisungen oder sonstige Erziehungsmaßnahmen um ein erfolgreicher oder anständiger Mensch zu werden. Ich hätte viele Umarmungen gebraucht, die Bestärkung darin Dinge auszuprobieren und die Gewissheit, dass ich auch unperfekt okay bin und geliebt werde. Dann hätte ich wahrscheinlich ganz natürlich die Grenzen und Bedürfnisse meiner Eltern respektiert, einfach weil ich sie liebe (die Motivation für oder gegen das Helfen, wäre auf jeden Fall grundlegend eine andere gewesen, als bei einer Pflicht!). Auch das Mobbing meiner Mitschüler hätte mir nicht mehr so zusetzen können (oder wäre gar nicht erst entstanden?!).

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Heute erobere ich mir meine Macht zurück. Die Macht, für mein Leben und mich selbst als Mensch zu entscheiden, was mir wichtig ist und was nicht. Was wertvoll ist und was nicht. Penible Sauberkeit, funktionieren müssen und Perfektion kommen da eigentlich nicht vor; eher Authentizität, Ehrlichkeit, Liebe, Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und Toleranz. Das kommt aus mir heraus und ist nicht anerzogen.


Wofür also Erziehung?

Erziehung denkt immer problem- und defizitorientiert (Angst vor der Zukunft, Angst was die Leute denken könnten, Angst was aus dem Kind werden könnte). Beziehung zum Kind aber ist lösungsorientiert („Ich sehe deine Wut/ deine Unsicherheit/ deine Überforderung – wie kann ich dir helfen?). Sie zeigt, du bist mir wichtiger als deine Schulnoten, dein Chaosmanagement, dein Fleiß oder Unfehlbarkeit. Wenn ich als Kind Respekt und Gleichwürdigkeit erfahre, habe ich es nicht länger nötig mich gegen irgendetwas oder irgendjemanden aufzulehnen, andere zu unterdrücken oder mich selbst zu verletzen. Dann darf ich Fehler machen und daraus lernen. Ja dann weiß ich sogar, dass ich meine Eltern jederzeit um Rat und Unterstützung bitten kann, auch wenn ich mal Mist gebaut habe.

Selbst mein kleiner zweijähriger Sohn beweist bereits Sozialkompetenz und teilt freiwillig, wenn ein Kind weint - geht zu fremden Kindern hin und bekundet zärtlich seine unvoreingenommene Sympathie. Er zeigt mir, wenn er Mist gebaut hat und hilft mir gerne bei meiner Arbeit. Was will ich da anerziehen, wenn doch schon alles da ist?

Wenn wir permanent Kontrolle ausüben, gibt uns das für den Moment vielleicht ein Gefühl von Sicherheit, denn wir wollen ja nur das Beste für unser Kind; wollen dass es später gut zurechtkommt. Dafür meinen wir, dass es sich anpassen muss, um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Unseren Kindern vermittelt es: ´Ich habe kein Vertrauen in dich! So wie du bist, reicht es nicht´.

Aber sind es nicht gerade die Originale, die wir dafür bewundern, dass sie genau Das leben was sie einzigartig macht, zeigen was sie fühlen und sich durch Kritik nicht von ihrem Weg abbringen lassen?

Mir hat Erziehung nicht das gebracht was ich brauchte, sondern das Gegenteil. Die Angst, niemals gut genug zu sein, zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben.

Letztendlich aber habe ich doch das gemacht, was ich für richtig hielt und mittlerweile die meisten Prinzipien meines Elternhauses über Bord geworfen. Es sind eben ihre, nicht meine.

So, ich werde mir jetzt Mühe geben unperfekt zu sein und mich selber wertzuschätzen, auch wenn´s schwerfällt. Ach ja, da sind noch mein Mann und mein Kindi, sie lieben mich so wie ich bin. Mmmhhh, ist doch nicht so schlecht – zuhause <3

 

Eure Sarah Hoffmann

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ariane Böhm

    Ich finde die Gedanken zum Thema, was lieblose Erziehung mit Kindern anrichten kann, sehr interessant und auch wichtig….
    Mir kam aber der Gedanke dazu, dass auch Menschen, die sehr liebevoll erzogen wurden, Probleme haben.
    Man merkt das auch schon bei kleinsten Kindern, dass negative Eigenschaften wie Egoismus „Meins!!!“ oder Neid (auf das kleine Geschwisterchen) angeboren sind.
    Aus meiner Sicht ist daher vor Allem wichtig, vergeben zu können.
    Denn zu erkennen, dass unsere Eltern viel falsch gemacht haben bei uns, ist sehr bitter…der Wunsch, es bei den eigenen Kindern besser machen zu wollen, absolut verständlich.
    Aber die Wahrheit ist, dass wir gerade durch unsere eigenen Fehler unseren Eltern vergeben zu lernen und dass Menschen einfach fehlbar sind.
    Auch unsere eigenen Kinder sind eben keine Engel und es dreht sich auch nicht die ganze Welt um unsere Kinder, sondern sie müssen lernen, dass sie selbst und Andere Menschen fehlerhaft sind, lernen sich selbst zu reflektieren und zwar Grenzen zu setzen, aber auch auf Andere Rücksicht zu nehmen und sich mal zurückzunehmen, wenn es sein muss.

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